Wenn sie erklingt, die „Königin von Niederehe“, glauben Zuhörer „den lieben Gott persönlich sprechen“ zu hören.
Die Orgel von Sankt Leodegar ist nicht nur die älteste erhaltene und spielbare Orgel in Rheinland-Pfalz, sondern sie ist auch das erste Werk des später weltberühmten Balthasar König.
Mit seinem Bau vor dreihundert Jahren vollzog der Ingolstädter Balthasar König im Eifeldorf Niederehe die Verknüpfung süddeutscher Orgeltradition mit der des Rheinlandes, in dem achthundert Jahre zuvor, im Aachener Münster, die erste aller Orgeln auf deutschem Boden aufgestellt worden war.
Seitdem hat die Kirche Sankt Leodegar mitten in der Eifel eine kleine, einmalige Kostbarkeit, und damit eine Pflegestätte von Orgel- und Kirchenmusik. Die Konzerte ziehen seit Jahren Musikbegeisterte aus einem weiten Umkreis an und manchen Zuhörer, der eher zufällig in die Kirche gekommen ist, lässt der Klang dieser Orgel nicht mehr los.
Die Orgel wurde 1715 als Erstlingswerk des berühmten „Orglmachers“ Balthasar König aus Münstereifel gebaut. Sie ist auch das einzige durch Inschrift am Gehäuse belegte Werk dieses Meisters. Wie kein anderes der späteren König-Werke hat diese Orgel die Wirren und Modernisierungen der Jahrhunderte überdauert. Gehäuse, Windlade, Registertraktur und Spieltraktur (bis auf die Klaviatur) gehören zum Originalbestand. 1997/98 erfolgte die Restaurierung und Rekonstruktion des Originalzustandes von 1715 durch den Orgelbauer Hubert Fasen, Oberbettingen.
Anhand der originalen Prospektpfeifen konnten die ursprüngliche „König-Temperatur“ und die Stimmtonhöhe a’ mit 421 Herz bei 15,3°C rekonstruiert werden.
Die Windanlage mit zwei übereinander liegenden Keilbälgen kann in historischer Manier mechanisch betätigt werden; zusätzlich besitzt die Orgel auch ein elektrisches Gebläse. In der Orgel erklingen insgesamt 702 Pfeifen (566 Metallpfeifen, 74 Holzpfeifen, 62 Zungenpfeifen).
Die Restaurierung der Orgel verdankt Niederehe Klaus Kemp, selbst von Jugend an ein großer Orgelfreund und begeisterter Organist. Der Heilpraktiker fand im Jahr 1963 eher zufällig die Orgel im kümmerlichen Zustand vor und schloss sie in sein Herz. Er ermittelte die Kosten, vermittelte Patenschaften für die Orgelpfeifen, organisierte ein Fest unter dem Motto „Hast du Töne?!“ und machte die Orgel zum Thema Nummer eins im Dorf und in der Umgebung.
In einer beispiellosen Kraftanstrengung gelang es ihm und engagierten Niedereher Bürgern, die Orgel vollständig in den Originalzustand von 1714 zurückzuversetzen. Die Niedereher Orgel ist das einzige Instrument von Balthasar König, das heute wieder mit der originalen Temperatur und Stimmung der Erbauungszeit zu hören ist.
Unter mitteltönigen Stimmungen versteht man eine Stimmung, die in der Renaissance, im Barock und vielfach auch in späterer Zeit (bis in das 19. Jahrhundert) hauptsächlich für Tasteninstrumente gebräuchlich war. Die mitteltönige Stimmung stellte die günstigste Annäherung an das Netz reiner Quinten (Frequenzverhältnis 3/4) und reiner Terzen (2/3) der reinen Stimmung dar. Für die Begleitung von vokaler, instrumentaler und gemischt vokal-instrumentaler Musik bot sie lange Zeit die beste Voraussetzung. (Art. „Mitteltönige Stimmung“ in: Wikipedia, Abruf am 29-08-2015).
Es erstaunlich wie die Temperatur und die Stimmung die dort spielbare Musik erstrahlen lässt.
Viermal im Jahr finden Konzerte namhafter Organisten statt, die Musikbegeisterte aus einem weitem Umkreis nach Niederehe führen.
Seit vielen Jahren organisierte Norbert Esselen aus Hillesheim die „Niedereher Orgelkonzerte“, für die er die renommiertesten Musikerinnen und Musiker aus dem In- und Ausland gewinnen konnte.
Ein weiterer Text:
Kleine Königin mit großem Klang
Eines der kostbarsten Ausstattungsstücke der ehemaligen Klosterkirche St. Leodegar in Niederehe – und die älteste spielbare Orgel in Rheinland-Pfalz – ist die 1714 erbaute Orgel des berühmten Orgelbaumeisters Balthasar König (1684-1756).
Bereits sein aus der Schweiz stammender Vater war in Bayern „Orgelmacher“ – ebenso sein älterer Bruder Kaspar. Dessen Wirkungskreis erstreckte sich über Ober- und Niederbayern, die Oberpfalz und das angrenzende Schwaben. So begab sich Balthasar König – ausgestattet mit den Grundlagen des Orgelmacherhandwerks – auf die Wanderschaft, über die leider nichts bekannt ist. Er ließ sich in Münstereifel nieder und baute 1714 /1715 die Orgel für die Prämonstratenser in Niederehe – die erste König-Orgel in der Eifel – und gleichzeitig auch sein opus eins. Das Werk verfügte ursprünglich über neun Register auf einem Manual mit 49 Tasten sowie über ein angehängtes Pedal von 13 Tasten.
Balthasar König verstand es, die verschiedenen Stilrichtungen zu vereinen. Süddeutsche, französische, rheinische und niederländische Traditionen wusste er geschickt zu einem erstaunlichen Klangreichtum zu verbinden. Vor allem die Terzregister Solcena und Cornet, sowie Trompet und Mixtur geben dem Instrument ihre besondere Note.
Nachdem das Kloster 1803 aufgehoben und die Mönche vertrieben waren, verstummte das kostbare Instrument. Die „Königstochter“ sank in einen Dornröschenschlaf. Erst 1868 erweiterte der Orgelbauer Johann Josef Müller aus Niederehe das Instrument um eine selbstständige Pedallade mit drei Registern (Subbaß, Oktavbaß und die alte Manualtrompete). Im Manual fügte er das Register Wienerflöte 8’ hinzu. Bei einem grundlegenden Umbau 1923 wurden von einem Orgelbauer Burkart im Auftrag der Firma Klais viele Originalregister entfernt und die Disposition dem Zeitgeschmack angepaßt. Nach weiteren Eingriffen in den Nachkriegsjahren waren schließlich nur noch die Pfeifen der Register Principal, Superoktav und die Fleute dous original vorhanden.
Die Orgel litt immer mehr an Altersschwäche. Die Erkenntnis, welchen ungehobenen Schatz man hier vor sich hatte, machten eine Restauration und Rekonstruierung im Sinne der Denkmalpflege erforderlich. Durch die Überzeugungsarbeit und das Engagement von Herrn Klaus Kemp wurde die Finanzierung der Wiederherstellung der Orgel im alten barocken Glanz sichergestellt. Gutachten von Orgelsachverständigen und Denkmalpflegern gaben die Richtlinien, nach denen der Auftrag an den Orgelbaumeister Hubert Fasen – http://www.orgelbau-fasen.de – aus Oberbettingen vergeben wurde.
Die Orgel wurde komplett zerlegt, inventarisiert und in der Werkstatt Schritt für Schritt wieder aufgebaut. Anhand von drei vorhandenen Originalregistern ließen sich die ursprünglichen Mensuren herleiten. Aufgrund der Bohrungen auf der Windlade konnte die ursprüngliche Disposition ermittelt werden. Reste der Registerschildchen stützten den Befund. Ein Großteil des Pfeifenwerkes mußte anhand der erhaltenen Pfeifen rekonstruiert werden. Die Pedallade von 1868 wurde als historisch gewachsene Substanz betrachtet und beibehalten.
Besonders arbeitsintensiv war die Intonation der über siebenhundert Pfeifen, die – anders als bei modernen Orgeln – eine eigene „Temperatur“ (modifiziert mitteltönig) mit besonders wohlklingenden Quinten und Terzen erhielten, so daß Tonarten mit wenigen Vorzeichen besonders rein klingen. Diese Temperatur konnte anhand der Principalpfeifen im „Gesicht“ der Orgel gewonnen werden. Die Disposition und die Temperatur ermöglichen besonders die Darstellung französischer und süddeutscher Barockliteratur in authentischer Weise. Die Vervollständigung und Vergoldung des schönen Schnitzwerkes am Orgelprospekt hat der Bildhauer Christoph Fischbach mit großem künstlerischen Können ausgeführt.
Die Balthasar-König-Orgel ist nun wieder klingendes und sichtbares Zeugnis einer Kulturlandschaft, die lange Zeit zu Unrecht als preußisches Sibirien angesehen wurde. Diese – sowie die ebenfalls von Hubert Fasen restaurierte und rekonstruierte König-Orgel von 1738 in Beilstein an der Mosel sind die einzigen Instrumente dieses berühmten Orgelbauers, die heute wieder mit der originalen – mitteltönigen – Temperatur und Stimmung der Erbauungszeit zu hören sind.
Auf Initiative des Wahl-Eifelers Klaus Kemp ist eine Konzertreihe entstanden, die Zuhörer von weither anlockt. Die Konzerte haben überregionale Bedeutung, denn Kemp ist es mit Hilfe von Sponsoren gelungen, die renommiertesten Interpreten zu verpflichten. Besucher aus Köln und Frankfurt, Aachen und Düsseldorf kommen zu den Konzerten in die Eifel, um sich die einzigartigen Darbietungen hochkarätiger Künstler nicht entgehen zu lassen.